Grenzerfahrung

Grenzerfahrung

 

(Wiesbaden/Berlin, René Bunge) Auch in diesem Jahr habe ich mir ein kleines Ziel gesetzt und es sollte wieder einmal ein besonderer Lauf sein. Grenzerfahrungen in jeglicher Hinsicht.

Im November 2015 hab ich nach einem Highlight für 2016 gesucht. Egal wie lang ich gesucht hab, meine Gedanken kamen immer wieder zu einem Lauf.

Der 100Meilen Berliner Mauerweglauf.

Diesmal mit einem Coach, damit ich gezielter trainieren kann. Meine Wahl war ganz klar. Matthias Knossalla und sein Trivolution-Training Team sollten mich für die 161,9 km fit machen. Ich habe seit Dezember mit Florian Kramer trainiert, dem ich unendlich dankbar für diese Begleitung bin. Die 8 Monate vergingen echt wie im Flug.

Mitte März der erste Test: Der 50km-Ultra in Eschollbrücken. Das war kein Saisonstart nach Plan. Leider mein erster DNF. Was für ein riesiges Loch.

Der „harte Mann“ lief dafür umso besser. 31,8km bergauf in 2,44h.

Im Mai startete ich beim Hollenlauf im Sauerland. Das die 111km ein Traillauf mit 2200HM waren, scheint mein Läuferherz ignoriert zu haben. Aber auch hier habe ich –in 15 h- gefinisht.

Im Juli standen an einem Wochenende gleich zwei Läufe auf dem Vorbereitungsplan. Samstagabend der HM in Füssen und Sonntagmorgen der Marathon on top. Beide Läufe liefen echt super.

Plötzlich war das Berlin- Wochenende da.

Völlig entspannt Freitagmittag die Startunterlagen abgeholt. 18 Uhr das Briefing. Hier wurde erst richtig deutlich, wie viel Herz an diesem Lauf hängt. Soviel Geschichte hat wohl kein anderer Lauf. Jedes Jahr wird einem anderen Maueropfer gedacht. Dieses Jahr sollte es Karl- Heinz Kube sein, der 1966 im Alter von 17 Jahren bei einem Fluchtversuch in Teltow erschossen wurde.

Samstagmorgen war es dann für 350 Einzelstarter soweit. 6 Uhr fiel der Startschuss im Ludwig-Jahn-Sportpark.

Die erste Station war der Mauerpark. Kurz vor dem Brandenburger Tor wurde eine Mauer errichtet. Jeder Läufer sollte einen „Stein“ abtragen und diesen dann nach ein paar Metern weg werfen. Das symbolische Einreißen der Mauer.

Am Checkpoint Charlie vorbei, führte die Strecke DURCH das extra geöffnete ASISI Panorama-Mauermuseum.. Anschließend ging es an der East Side Gallery entlang. Das letzte Stück origianl Mauer in Berlin, durch internationale Künstler nach dem Mauerfall farbenfroh gestaltet. Die vielen Touristen dort haben uns verwundert angesehen. Den absoluten Gänsehautmoment hatte ich an der Gedenkstätte von Karl-Heinz Kube. Hier konnte jeder Läufer Gedenkworte auf Postkarten festhalten, die während des Laufes an Luftballons steigen gelassen wurden.

Ich verneige mich vor Karl-Heinz Kube und seinem Mut und der geschichtsträchtigen Organisation des Laufes!

Anschließend führte die Strecke Richtung Potsdam. Bis KM75 lief alles bestens. Danach musste ich das Tempo drosseln. Die Pausen an den Verpflegungsstationen wurden länger, die Schmerzen dafür mehr.

Ab KM110 trug ich die vorgeschriebene Warnweste und Stirnlampe, es wurde langsam dunkel. 20km der Strecke führten durch einen Wald. Es war stockfinster und fernab der Stadt habe ich das Knacken und Rascheln des Waldes intensiv wahrgenommen.

Ab diesem Zeitpunkt war schmerztechnisch alles erreicht. Ich hab mir tausende Male eingeredet, dass die Schmerzen nur temporär sind. Das hat geholfen.

Ab 2 Uhr nachts erschlug mich die Müdigkeit. Die schlimmste Qual überhaupt. Ich wollte nur noch schlafen. Es gab tatsächlich Läufer, die beim Essen an den Verpflegungsstationen eingeschlafen sind.

Die letzten 20km bestanden dann nur noch aus Humpeln/Gehen und ein bisschen Laufen.

Ich war echt durch. Der Kopf hat verrückt gespielt, die Füße taten seit Stunden weh, mir war schlecht vom Essen und Trinken und die unsagbare Müdigkeit machte mich fertig.

Sonntagmorgen kamen mir die ersten Leute entgegen und haben mir mit einem Grinsen zugerufen, dass es nur noch 1500 Meter sind. Ich war so glücklich in diesem Moment, weil ich wusste, dass ich kurz vorm Finish war.

Im Stadion nur noch eine Runde und dann… ZIEL. Nach 161,90km in 25,51h.

Was würde ich als erstes machen? Lachen, Weinen, Schreien, Schlafen? Das war einfach Wahnsinn. Ich habe mich fürs Lachen entschieden, nachdem ich mein Finisher Shirt bekommen habe.

Die Medaillen haben die Läufer am Sonntagnachmittag bei der Siegerehrung bekommen.

Gewonnen wurde der Lauf von Ariel Rozenfeld aus Israel in 15:20h. Erst Frau war Tia Jones aus Australien mit 17:03h.

Als ich auf der Bühne stand, bekam ich voller Stolz meine Medaille und Urkunde von Frau Gueffroy. Auch ihr Sohn wurde -9 Monate vor dem Mauerfall- bei einem Fluchtversuch erschossen. Ein Moment, den man so schnell nicht vergisst. Genauso wenig wie die vielen Stelen, die am Mauerweg stehen. Für jedes Maueropfer zwischen 1961 und 1989 eine.

Ich bin überglücklich und auch ein bisschen stolz, dass ich das durchgezogen habe.

Danken möchte ich allen, die mich mit ihren Worten unterstützt haben. Vor allem auch während des Laufes per Handy (Handymitnahme war Pflicht). Die vielen Durchhaltewünsche waren echt wichtig.

Ein riesen Dankeschön möchte ich meinem Trainer Florian Kramer (www.trivolution-training.de) sagen. Unglaublich was du aus mir herausgeholt hast!

Ein unendliches Dankeschön gilt meiner Freundin Fränze aus Berlin. Sie hat alles organisiert. Alles!!! Schlafmöglichkeit. Abholen, Bringen, Massagen. Sie hat mich 26 Stunden begleitet! Sie hat zu den richtigen Zeitpunkten das richtige gesagt, um mich weiter zu pushen und gesehen/geahnt, wann sie mich auch mal allein jammern lassen muss.

Du hast mir wahnsinnig geholfen und einen entscheidenden Anteil an der Medaille.

Der 5. Mauerweglauf startete am 13.08.2016, dem 55. Jahrestag des Mauerbaus. Die aufgebaute Mauer vor dem Brandenburger Tor war 5,5 Meter lang. 5 Starter nahmen zum 5. Mal teil und haben jeweils zum 5. Mal gefinisht.

Ein denkwürdiges, intensives und schönes Wochenende voller Geschichte liegt hinter mir.

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